Die menstruierende Frau ist im 21. Jahrhundert kein Tabuthema mehr – so könnte eine These lauten, die wenigstens in Europa mehrheitsfähig erscheint. Menstruationsartikel sind in den neonbeleuchteten Supermarktregalen überall erhältlich, es gibt sie in Automaten am Straßenrand, auf öffentlichen Toiletten. Trotz dieser Offensichtlichkeit des Menstruationsdiskurses, erscheint bei tiefgreifender Analyse sehr wohl noch eine gesellschaftliche Tabuisierung einzusetzen. Verwunderung und Formen der Entrüstung bahnen sich ihren Weg, wenn das sonst unsichtbare sichtbar gemacht wird. Nach wie vor ist die weibliche Menstruation ein Phänomen des Persönlichen. Dieses kann eine bewusste Entscheidung der Frau sein, oder aber ist auf jene Vorurteile, gar Widerstände zurückzuführen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, wenn wir uns dazu entscheiden das Blut unserer Körper in die Öffentlichkeit zu tragen. Was aber würde sich zwischenmenschlich verändern, wenn wir mit diesem Normverhalten brechen? Die Aktualität von Vorurteilen, soll im Zuge eines Krisenexperiments erkundet werden, um Strukturen von Normen aufzudecken, welche die Menstruation möglicherweise fortwährend umgeben und sie damit auch in der heutigen Zeit noch zu einem Tabu-Thema machen.
Mit der Annäherung an bestehende Normen stellt sich für uns zudem eine weitere Frage: Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Vorgang der Menstruation? Das Normverhalten über die Menstruation, mit ihrem omnipräsenten Platz in der heutigen Gesellschaft, wirft offenkundig Fragen auf, die es zu erforschen gilt. Erforschung von Grenzen der aufgeklärten Gesellschaft, die nach der Entstehung von Scham fragen, und danach, wie tabuisiert ein biologisch bedeutsamer und ebenso natürlicher Prozess wie der der Menstruation heute noch ist.
Beschreibung der Durchführung
Die Durchführung unseres Krisenexperiments fand an zwei jeweils unterschiedlichen Orten statt. Ein erster Durchgang wurde auf den öffentlichen Toiletten eines Restaurants durchgeführt. Für eine Weiterführung des Experiments wählten wir großräumige Toiletten auf dem Gelände der Leuphana Universität Lüneburg. Durchgeführt wurde das Experiment auf Frauen- sowie auf Männertoiletten. Mehrere Toilettenkabinen und Waschbecken boten für ein Experiment an beiden Orten genügend Raum zum Begegnen. Vorweg wurde dabei eine Menstruationstasse mit Kunstblut präpariert. Wenn nun zufällige Proband*innen den Raum betraten, wurde Ihnen vor dem Händewaschen die Frage „Kann ich meine Menstruationstasse hier waschen?“ gestellt. Später fand eine Aufklärung über das durchgeführte Krisenexperiment statt. Das Experiment wurde an den zwei verschiedenen Standorten pro Person mindestens zwei Mal auf der Frauen- und zwei Mal auf der Männertoilette durchgeführt. Es waren erwachsene Proband*innen verschiedener Altersklassen beteiligt.
Beobachtungen
Erste Durchführungen des Krisenexperiments fanden auf den Damentoiletten statt. Verschiedene Reaktionen ließen sich dabei auf unser Experiment beobachten: In Fällen kam es zu Unsicherheiten, allenfalls zu einer peinlich berührten Stille, in keinem der Fälle zu Ablehnung oder negativen Bemerkungen. Häufige Reaktionen auf die von uns gestellte Frage waren Antworten wie „Mach doch“ oder „Ja klar, das ist doch natürlich“. Nach Aufklärung über das Experiment waren Proband*innen teilweise sogar interessiert, falls sie mit dem Gegenstand der Menstruationstasse noch nicht vertraut waren. Eine Probandin bekundete im späteren Gespräch ihr Interesse über das Aussehen des Kunstblutes, da ihr Unterschiede hinsichtlich des Aussehens ihres eigenen Periodenblutes auffielen. Unser Experiment brachte uns in vielen Momenten in ein direktes Gespräch über die Menstruation der Frau. Dass der direkte Verweis auf die eigene Menstruation und das Blut auch zu Unbehagen führen konnte, zeigte ein anderer Versuch. Die Probandin bejahte die Frage „Kann ich meine Menstruationstasse hier waschen?“. Nach Aufklärung über das Krisenexperiment wurde sie gefragt, wie sich das Stellen dieser Frage für sie angefühlt hätte. Daraufhin sagte sie spontan „Verrückt. So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Selber sei ihr die Situation des öffentlichen Auslebens der Menstruation noch nicht zuvor begegnet, sie fände es aber von unserer Seite sehr mutig.
Eine Parallele lässt sich zwischen gleichen Versuchen in der Umgebung der Leuphana Universität ziehen. Vermehrt handelte es sich um junge Proband*innen die unserer Frage vorbehaltlos gegenüberstanden: „Irgendwo muss man die ja ausspülen.“ Auf den Männertoiletten des Restaurants wie auch der Universität führte, neben der Frage über das Waschen der Menstruationstasse, unsere Präsenz zu Verwunderung. Probanden schienen den ungewohnten Anblick der Menstruationstasse eher zu meiden. Wenn auch männliche Probanden zurückhaltender reagierten, trafen unsere Fragen dort auch auf überraschte, aber positive Reaktionen. In einem Fall reagierte ein älterer Proband lediglich besorgt auf unseren Besuch der Herrentoilette, stand unserer Frage aber vorbehaltlos gegenüber.
Auch an uns selbst haben wir den Normbruch gespürt: Eigene Anstalten von Scham konnten wir bei ersten Versuchsdurchführungen beobachten. Sie waren von einer gewissen Anspannung und Aufregung gekennzeichnet, vor dem Hintergrund eine solche Situation selbst noch nicht erlebt zu haben. Insbesondere der Besuch der Herrentoilette, obendrein im Schatten unseres Experiments, kostete uns Überwindung. Uns fiel es wesentlich schwerer den Versuch mit potenziell bekannten Personen in der Universität durchzuführen, als in dem scheinbar anonymen Umfeld eines Restaurants, wo die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begegnung mit Proband*innen eher geringer schien. Mit mehrfacher Durchführung wurde der Vorgang natürlicher und ungezwungener, bis es schließlich zu einem Hinterfragen unserer eigenen anfänglichen Vorbehalte kam. Warum sollte Frau ihre Menstruationstasse auch nicht in der Öffentlichkeit waschen?
Ergebnis – Das Experiment im gesellschaftlichen Kontext
Das Krisenexperiment, mit Durchführungen auf Frauen- und Männertoiletten, kann eine Auskunft über den Umgang des jeweiligen Geschlechts mit dem Thema der Menstruation geben. Die bekannte Vorstellung, dass die Menstruation ein bindendes Glied innerhalb des weiblichen Geschlechts ist, wird durch das Krisenexperiment bestärkt. So war die Barriere, eine Frau nach dem Waschen der Menstruationstasse zu fragen, spürbar geringer als es auf den Männertoiletten der Fall war. Weibliche Probandinnen reagierten im Schnitt offener und verständnisvoller, während den männlichen Probanden die Situation weniger zugänglich schien oder teilweise Desinteresse eine Reaktion war, da es offenkundig weniger Berührungspunkte des biologisch männlichen Geschlechts mit der Menstruation gibt.
Überwiegend positive Reaktionen, aber auch das Eingeständnis vieler Proband*innen über eine Situation, die sie so noch nie erlebt hatten, geben Auskunft über existierende Normen in der Gesellschaft, die davon handeln, dass es das Blut der Menstruation als diskreter Teil unseres ganz persönlichen Erlebens vor der breiten anonymen Öffentlichkeit weitgehend zu verbergen gilt. Indikator einer Norm sind auch unsere eigenen Vorbehalte, auf die uns die Durchführung des Krisenexperiments unweigerlich aufmerksam machte.
Wobei es hierbei aber vielmehr um das Teilen der visuellen Substanz geht, als um das Sprechen über das Thema an sich. Es scheint ungewohnt das Menstruationsblut einer anderen Person mit eigenen Augen zu sehen, so als würde man es fast mit ihr teilen. Die Menstruation scheint nach wie vor ein persönliches Thema zu sein, das in der aktuellen Gesellschaft zwar immer zugänglicher wird, allerdings trotzdem vorwiegend auf einer zurückhaltenden Vertrauensbasis im menschlichen Diskurs stattfindet und in der Praxis weitgehend versteckt gehandhabt wird.
Es gibt das gelegentliche Bedürfnis mit seinem eigenen Körper Geheimnisse zu haben, nicht immer transparent sein zu müssen. Menstruation ist eine Sache des Persönlichen, der Umgang einer Frau damit ebenso. Es ist ein sensibles Thema und gerade deswegen ist es wichtig entscheiden zu lassen, inwiefern Frau es an die Öffentlichkeit tragen möchte. Viele der positiven Reaktionen, die wir im Laufe der Durchführung unseres Krisenexperiments beobachten konnten, symbolisieren einen blutigen Optimismus. Dass ein für die Gesellschaft so bedeutsamer biologischer und historisch lang diskutierter Vorgang für die Frauen, wie in gewisser Hinsicht auch für die Männer, auf einem Weg der Akzeptanz ist, hin zu einer Gesellschaft, in der wir mutig sein können und müssen, mit unseren Körpern und der monatlichen Regelblutung offener und ehrlicher zu sein. Jede Entrüstung zeugt auch nur von einer Unsicherheit. Jede Scham von Unvertrautheit. Das erprobte Krisenexperiment konnte eindrücklich zeigen, dass Normen in unseren Köpfen beginnen. Es hat uns die Strukturen erfühlen lassen und besteht im Bruch mit den lang einstudierten Interaktionen, die es schon so lange gibt, dass es sich lohnt mit ihnen zu experimentieren.
Dieser Beitrag wurde von den Student*innen A. Andersen, S. Bluhm, S. H. Lehmann, L. Mehner & J. M. Winkelmann verfasst. Er entstand im Wintersemester 2019/20 im Rahmen des Seminars “Krisenexperimente. Eine ‘dirty method’ zwischen Wissenschaft, Kunst und (politischer) Bildung” an der Leuphana Universität Lüneburg.